Der dritte Tractat.

[25] Von den Thönen vnd Melodeyen, wie man sie Tichten vnd beweren sol, Mit angeheffter Schulordnung.


Von den Thönen vnd Melodeyen.


Wer einen Meisterthon machen oder Melodiren wil, Der mus erstlich mit fleis achtung haben, auff die eigenschafft der sechßerley Reimen oder Verß des Meistergesangs, damit er nicht die zal vnd maß der Syllaben vbertrette.

Nachmals mag er die Melodey setzen, vnd nemen woraus er kan vnd wil.

Er mus aber fleissig warnemen, das keines Versen Melodey, so er tichtet, in einem andern Meister Thon mit der Melodey eingreiffe vnd berüre, so weit sich 4 Syllaben erstrecken, Wie von beweren der Thön gemelt wird, Also das in 4. Syllaben die Melodey, so wol die Coloratur gantz vnd gar hinden vnd forne nichts angegriffen würde, Sondern andere newe Melodey vnd Blumen, so andere Thöne der Meister singer nicht haben, damit keinem anderm Thon seine Melodey in einigerley Reimen möchte enzogen werden, Vnd ob die Melodey die er tichtet, schon mit zwo oder drey Syllaben ein andere Melodey angriffe, das er doch mit der vierden Syllaben beyde die Melodey vnd Blumen wie er kan vnd mag, wider heraus fürete.

In Pausen oder Schlagreimen mus man sonderlich achtung geben, auff die Blumen oder Coloratur der Pauß vnd Schlagreimen anderer Meister Thön, das dieselbige nicht den vorgetichten gleich lauten oder klingen.

Also auch im Gebänd der Thön muß man auffmerckung haben, das sie nicht durchaus andern Thönen, gleich jr gebändt haben.

Dergleichen muß man auch andere Zal vnd maß der Versen setzen, damit nicht zwen oder drey Thöne, in allen Reimen einerley anzal der Syllaben in Reimen haben.


[26] Von Vberkürtzen Thönen.


Beyde vberkürtze vnd vberlange Thöne betreffendt, Weis ich auch nicht anzuzeigen, gewisse vrdnung darinne zuhalten, weil der Tichter so viel seind, die jnen selbst zal vnd maß, nach jrem gutdüncken, für fassen.

Demnach, aber bey vnsern alten Vorfahren den XII. Meistern, auch bey jren nachtichtern erfunden wird, das sie vnter sieben Reimen oder Versen keinen Thon gemacht, Rathe ich, das man nach auff heut keinen Thon vnter sieben Reimen gelten lasse, oder begabe, Wie denn vnser Vorfahrn auch gethan haben.

Wie wol ich von dem gar kurtzen Thon Heinrich Mügelings verneme, der da nur fünff Versen haben solt, Kan im doch für keinen Meister Thon im gemerck gelten lassen, Weil kein verstendiger Spruch oder sententz, sampt dem Capitel desselben Spruchs, in dem Thönlein kan angezeigt werden.

So weis ich auch wol, das es mit diesem Thönlein obbemelt, zugehet, wie mit etlichen andern Thönen ergangen, welche felschlich vnter dem namen der alten Zwelff Meister nur fingirt; vnd also vor jre Thöne außgegeben, Wie billich solchs geschehen, gebe ich menniglich zuerkennen.


Von vberlangen Thönen.


Mit den vberlangen Thönen, befind sichs auch nicht bey den Alten, das einer den andern so hoch vberstigen hette, wie jetzt vnter vns geschicht.

Dieweil man es aber ja für eine Kunst achtet, vberlange Thön zu machen: Deuchte mich, es were vbrig lang vnd hoch gnug hinauff gestiegen, wenn ein Thon 100. Reimen, oder Versen hette, vnd das die Thön so vber 100. Reimen kein Vortheil hetten, vor denen so 100. inhalten, bey den man es solte bleiben lassen.

Weil doch nicht wol müglich in solchen vberlangen Thönen ein gedrittes lied nacheinander zu singen (Ich geschweige der gefünfften oder gesiebenden Lieder) Wie sich denn wol gebürte.[27]

Denn künstlicher ist es, das liebliche Thöne ge macht werden, darinnen man ein schön gefünfft oder gesiebend Lied, von dem Meister der jn gemacht hat hören kan, als das, wenn es zum beweren kömpt, nicht wol ein Gesetz von dem Meister, der jn gemacht, auff die Bahn mag gebracht werden, Wie ich denn offt gehöret habe, das denn ein spott ist, vnd verdrießlich zu hören.


Vom Beweren der Thöne.


Von Thönen zu beweren were auch zu melden, wenn es gefallen wolten.

Billich ists vnd recht, das man ein Thon drey mal von seinem Meister selbst höre. Also, das er den Thon zum ersten mal auffs nidrigst als er vermag, für der gantzen Geselschafft hören lasse. Zum andern mal, mit volkomender stimmen, wie man auff der Schul pfleget zu singen. Zum dritten mal, auffs höchst als er jhn mit der stimm erheben kan. Es würde denn von wegen Alters, der vnuermöglichen stimm halben zu gelassen, das ein ander an des Meisters stat, seine Thön für sünge, vnd die beweren liesse. Auch wo Singer weren an örten, da es keine Geselschafft hette, möchten sie die Thön, auch lassen andere für singen vnd beweren, in den Stedten, wo Geselschafften sind.

Nachdem man nu fleissig auffgemerckt hat, so lasse man die gantze Geselschafft iudiciren, ob auch der Thon etwa mit vier Syllaben (denn mit siben Syllaben, wie bißher breuchlich, ist gar zu viel) mit der Melodey in andere Thön eingegriffen hette.

Also würden die vberlangen Thön etliche, mit jren kurtzen Versen, wol dahinden bleiben.

Vnd so der Thon nirgends etwa mit vier Syllaben in andere Melodeyen het eingegriffen, jm alß denn lassen beweret sein.

Derselbe Meister sol selbs den Thon benamen, vnd ein Gesetz darin er jn beweret, selbst in ein Büchlein so ins Polpet gehörig, zum gedechtnus einschreiben, mit beygesetzter Jahrzal vnd Tag.[28]

Hierauff sol jhn die Geselschafft der Singer, so dißmal darbey sein, an derselbigen Zech frey halten, oder seine Zech aus dem Polpet nemen, es sei in Wein oder Bier, Damit er nicht seinen fleis, mühe vnd arbeit, vmbsonst gehabt, vnd nicht, wie an etlichen orten ein vnfreundtlicher brauch, das er der Geselschafft, eine Viertel kanne Weins, zu lohne geben müsse, Da man denn offtmals den Thon lest beweret sein, von wegen eines truncks Weins, damit man nur zu sauffen habe, Es greiffen gleich die Thöne ein oder nicht.

Doch wil ich hierinne, wie auch im vorigem, niemandts Ordnung geben, Sondern nur mein gutdüncken vnd wolmeinung, menniglichen angezeiget haben, was mich hierin nach meinem einfeltigen verstandt, vor billich gedeucht.

Ein Erbare Geselschafft, in was Stadt vnd Ort sie sind, wird wol wissen, was nach jrer wolmeinung für Ordnung hierinne zu halten sey, Damit an solcher alten, löblichen, lieblichen vnd Christlichen Kunst, nichts verseumet, Sondern vielmehr gebessert, gefördert vnd erhalten werde.


Quelle:
Adam Puschmann: Gründlicher Bericht des deutschen Meistergesangs. Halle a.d.S. 1888, S. 25-29.
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